Keine fristlose Kündigung wegen Mitnahme kranker Kinder

Eine fristlose Kündigung ist wegen der Mitnahme kranker Kinder nicht gerechtfertigt. Wenn eine Arbeitnehmerin ihre erkrankten und betreuungsbedürftigen Kinder mit zur Arbeit nimmt, ist dies eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Dies rechtfertigt jedoch keine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber, wie das Arbeitsgericht Siegburg mit Urteil vom 04.09.2019 zum Aktenzeichen 3 Ca 642/19 entschied.

Klageziel: Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist

Die Klägerin war als Altenpflegefachkraft in der Probezeit beschäftigt. Daher hatte sie noch keinen Kündigungsschutz und somit jederzeit ohne Angaben von Gründen eine Kündigung möglich ist. Der Arzt stellte die Betreuungsbedürftigkeit der erkrankten Kinder fest. Die Klägerin ging trotzdem zur Arbeit. Sie nahm jedoch ihre erkrankten Kinder zeitweise mit zur Arbeit. Die Klägerin erkrankte einige Tage später an einer Grippe. Weil es der Klägerin verboten gewesen sei, ihre kranken Kinder mit zur Arbeit zu nehmen, erhielt sie eine fristlose Kündigung. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist für die ausgesprochene Kündigung.

Begründung des Gerichts:

Das Arbeitsgericht entschied, eine Abmahnung hätte ausgereicht. Entsprechend dem Urteil endete das Arbeitsverhältnis nicht fristlos, sondern erst mit Ablauf der 2-wöchigen Kündigungsfrist in der Probezeit. Die fristlose Kündigung wurde vom Arbeitsgericht für ungerechtfertigt angesehen. Das Verhalten der Klägerin sei sowohl aus versicherungsrechtlichen Gründen als auch wegen der bestehenden Ansteckungsgefahr für die älteren Patienten problematisch und eine Pflichtverletzung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses. Einen Grund für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses sah das Arbeitsgericht jedoch nicht. Bei einem solchen Sachverhalt reicht grundsätzlich eine Abmahnung aus. Die beklagte Arbeitgeberin hatte auch keine anderen Gründe für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Achtung: 3 Wochenfrist für Kündigungsschutzklage

Sollten Sie eine Kündigung erhalten haben, muss die Klage innerhalb von drei Wochen beim zuständigen Arbeitsgericht eingegangen sein. Daher sollten Sie sich unverzüglich nach dem Erhalt der Kündigung an ein qualifizierten Rechtsanwalt wenden. Wir bieten Ihnen die hierzu unsere Dienstleistungen an unter:

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Massenentlassungsanzeige eingegangen, Kündigung ist sofort zulässig

Eine gemäß § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige kann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Diese Klarstellung erfolgt durch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.06.2019 zum Aktenzeichen 6 AZR 459/18.

Zugang Anzeige bei Arbeitsamt vor Zugang der Kündigung

Die Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

Kläger hoffte mit EuGH-Rechtsprechung zum Erfolg zu kommen

Das Kündigungsschreiben ging dem hier vorliegenden Kläger am 27.06.2017 zu. In seiner Kündigungsschutzklage machte er auch geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union habe der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen. Deshalb war er der Meinung, die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen dürfe, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.

Landesarbeitsgericht bestätigt klägerische Auffassung

Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung des Klägers gefolgt. Es hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere, so das Landesarbeitsgericht.

Klarstellung des Bundesarbeitsgerichts: Die Massenentlassungsanzeige dient beschäftigungspolitischen Zwecken

Die Revision des Beklagten hatte beim Bundesarbeitsgericht Erfolg. Dieses nahm die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht vor. Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass selbstständig neben dem nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahren stehende, in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren diene beschäftigungspolitischen Zwecken. Die zuständige Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Hierzu müsse bereits feststehen, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle die Agentur für Arbeit – anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens – keinen Einfluss nehmen, so das Bundesarbeitsgericht.

Bei der zuständigen Behörde ist der Eingang erforderlich

Zutreffend dürfe die Kündigung erst dann erfolgen, also dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies sei durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt. Es kommt somit nicht auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Kündigung, sondern auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer an.

Die Zurückweisung führt dazu, dass die Vorinstanz erneut entscheiden muss

Das Bundesarbeitsgericht konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht werde aufzuklären haben, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde. Diese weiteren Voraussetzungen sind durch das Landesarbeitsgericht aufzuklären.

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Telearbeit

Bei Zuweisung von Telearbeit ist keine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitsverweigerung zulässig

Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer nicht aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts Telearbeit einseitig zuweisen.

So ist der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, die ihm angebotene Telearbeit zu verrichten.

So hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 10.10.2018 zum Aktenzeichen 17 Sa 562/18 gemäß der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg Nr. 23/2018 vom 18.12.2018 entschieden.

Sachverhalt der Entscheidung

Vorliegend beschäftigte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als Ingenieur. Im Arbeitsvertrag war keine Regelungen zu einer Änderung des Arbeitsorts enthalten. Trotzdem hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach einer Betriebsschließung angeboten, seine Tätigkeit im „Home-Office“ im Rahmen von Telearbeit zu verrichten. Der Arbeitnehmer war nicht bereit, im „Home-Office“ Telearbeit zu arbeiten. Somit kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung.

Auf die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wurde die Kündigung vom Arbeitsgericht für unwirksam gehalten.

Der Arbeitgeber war damit nicht einverstanden und legte Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein. Er war weiter der Ansicht, der Arbeitnehmer hätte Telearbeit leisten müssen. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung ebenfalls für unwirksam gehalten.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass der Arbeitgeber nicht allein wegen seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts berechtigt ist, dem Arbeitnehmer einen Telearbeitsplatz zuzuweisen. Wenn der Arbeitnehmer die Ausführung dieser Telearbeit ablehne, liege deshalb keine beharrliche Arbeitsverweigerung vor. Somit war die aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung unwirksam.

Begründung des Landesarbeitsgerichts

Der Arbeitnehmer sei nämlich arbeitsvertraglich nicht verpflichtet gewesen, die ihm angebotene Telearbeit zu verrichten. Zwar hat der Arbeitgeber nach § 106 Gewerbeordnung ein arbeitsvertragliches Weisungsrecht, jedoch umfasse dieses arbeitsvertragliche Weisungsrecht nicht die Zuweisung von Telearbeit. Die Umstände der Telearbeit unterschieden sich in erheblicher Weise von einer Tätigkeit, die in einer Betriebsstätte zu verrichten seien, so das Landesarbeitsgericht. Hierbei spiele es keine Rolle, dass Arbeitnehmer zum Beispiel zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf an einer Telearbeit interessiert sein könnte. Dieses Argument des Arbeitgebers konnte das Landesarbeitsgericht nicht zu einer anderen Entscheidung bewegen.

Anders wäre die Entscheidung ausgefallen:

Wenn jedoch im Arbeitsvertrag auch die Telearbeit bereits vereinbart wurde, dann ist der Arbeitnehmer auch zur Ausführung dieser Telearbeit verpflichtet.

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Außerordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen

Häufige Kurzerkrankungen, für welche Entgeltfortzahlungen für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage entstehen, können eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist rechtfertigen, auch bei einen ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis.

Ordentlich unkündbar aufgrund Tarifvertrag
Der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrundeliegender Kläger war seit 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt war er als ungelernter Pflegehelfer beschäftigt. Aufgrund des anwendbaren Tarifvertrages war der Kläger ordentlich unkündbar. Dies war nach Vollendung des 40. Lebensjahres und mehr als 15 Jahre Betriebszugehörigkeit gegeben.

Umfang der Arbeitsunfähigkeitszeiten
Der Kläger war vom 29.09.2011 bis zum 28.3.2013 ununterbrochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. In der Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.07.2016 fehlte der Kläger jeweils kürzere Zeiträume von höchstens zehn Arbeitstagen. In der Summe waren die nach Vortrag der Beklagten 279 Arbeitstage. Somit waren es durchschnittlich 93 Arbeitstage pro Jahr. Die Beklagte kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit notwendiger Auslauffrist zum 31.03.2017. Sowohl das Arbeitsgericht, wie auch das Arbeitsgericht gaben der Kündigungsschutzklage statt.

Rechtmittel der Beklagten im Sinne der Zurückweisung erfolgreich
Das Bundesarbeitsgericht hat die Sache im Ergebnis zurückverwiesen und Vorgaben zur Prüfung gemacht.

Strenger Prüfungsmaßstab
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, der Prüfungsmaßstab bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist wegen häufigen Kurzerkrankungen sei im Vergleich zur ordentlichen Kündigung erheblich strenger.

Neben der negativen Gesundheitsprognose müssen die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers so beeinträchtigt sein. Dadurch müsse ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen. Zusätzlich sei in einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber dauerhaft zumutbar sei. Dies ist bei vielen Kurzerkrankungen möglich.

Nach Auffassung des Gerichts sei zur Erstellung der Gesundheitsprognose regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Zu erwartende hohe Entgeltfortzahlungskosten könnten ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung begründen. Das Maß hänge hierbei ab von der Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes. Stelle dieser nicht eine Gegenleistung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf bestimmte Ansprüche dar, sondern hänge, wie hier, nur von einer nicht allzu langen Beschäftigungsdauer und einem vergleichsweise niedrigen Lebensalter ab, übernehme der Arbeitgeber nicht das Risiko, dass das Austauschverhältnis aus in der Sphäre des Arbeitnehmers liegenden Gründen – ggf. über Jahrzehnte bis zur Rente – außergewöhnlich schwer gestört sei.

In diesem Fall liege infolge der vielen Kurzerkrankungen mit Entgeltfortzahlung eine solche Störung gemäß dem Bundesarbeitsgericht vor. Nämlich wenn damit zu rechnen sei, dass der Arbeitgeber für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall werde leisten müssen. Damit gehe das Maß der Entgeltfortzahlungskosten deutlich über das einer ordentlichen Kündigung hinaus. Ein Drittel der jährlichen Arbeitstage entspreche fast dem Dreifachen des Wertes von sechs Wochen im Sinne des § 3 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz.

Der Senat weicht vorliegend vom Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.01.2014, wo er Entgeltfortzahlung für jährlich 18,81 Wochen nicht habe ausreichen lassen. An dieser Rechtsprechung werde nicht mehr festgehalten. Vorliegend reichten pro Jahr bei 251 Arbeitstagen 84 mit Entgeltfortzahlung unterlegte Arbeitstage aus.

Quelle der zugrunde gelegten Urteilszusammenfassung: beck-online DIE DATENBANKFD-ArbR 2018, 407856
BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, BeckRS 2018, 16409

Abfindung bei Kündigung durch Arbeitgeber

Es besteht der weit verbreitete Irrglauben, dass man infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber immer eine Abfindung bekommt. Dies ist jedoch nicht so. Die Wenigsten haben in Ihrem Arbeitsvertrag eine Abfindungsvereinbarung.

Existiert ein Betriebsrat, kann ein Sozialplan vorliegen. Aus diesem ergibt sich, für welche Fälle und in welcher Höhe eine Abfindung zusteht.

Vereinzelt werden bei der Kündigung freiwillig vom Arbeitgeber Abfindungen vereinbart.

Der häufigste Abfindungsfall ist jedoch der arbeitsgerichtliche Vergleich. Hier zahlt der Arbeitgeber zur Vermeidung von Prozessrisiken eine Abfindung.

Hat man keinen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung oder will man die angebotene Abfindung erhöhen, muss man als Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen eine Kündigungsschutzklage erheben. Je höher das Risiko des Arbeitgebers ist, Sie gegen seinen Willen weiterbeschäftigen zu müssen, desto höher fällt in der Regel auch die Abfindung aus.

In diesen Arbeitsgerichtsverfahren wird durch Ihren Rechtsanwalt zugleich geprüft, ob die Kündigung überhaupt rechtens ist, zusätzlich offene Vergütung geltend zu machen ist, noch Urlaubsansprüche bestehen oder das Zeugnis zu erteilen oder zu berichtigen ist. Versäumt man jedoch die dreiwöchige Klagefrist, kann das Arbeitsgericht die Kündigung nicht mehr prüfen und auch der Arbeitgeber hat keine Veranlassung bei versäumter Klagefrist die Abfindung zu erhöhen.

Seminar aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsschutz

Heute habe ich mich wieder auf dem laufenden zur aktuellen Rechtssprechung im Kündigungsschutz durch das Bundesarbeitsgericht. die Landesarbeitsgerichte und einiger Arbeitsgerichte gehalten. Auf dem Seminar fand ein interessante und intensive Austausch und Fachanwälten für Arbeitsrecht des Deutschen Verbandes der Arbeitsrechtsanwälte (VDAA) statt.

Kündigung Schwangerer ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde kann zu entschädigende Diskriminierung sein

Die Kündigung einer schwangeren Frau ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde kann eine verbotene Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne von § 1 AGG darstellen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung verpflichten.

Der beklagte Rechtsanwalt hatte der bei ihm beschäftigten Klägerin bereits während der Probezeit gekündigt. Diese Kündigung hatte das Arbeitsgericht in einem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren nach § 9 MuSchG für unwirksam erklärt, weil die Klägerin ihrem Arbeitgeber gleich nach der Kündigung unter Vorlage des Mutterpasses mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei und der Arbeitgeber keine Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde zur Kündigung eingeholt hatte.

Einige Monate später kündigte der Beklagte ein weiteres Mal ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde.

Durch die erneute Kündigung wurde die Klägerin nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Der Einwand des Arbeitgebers, er habe angenommen, die Schwangerschaft sei bereits beendet, hat das Gericht für unberechtigt gehalten. Es hätten keine Anhaltspunkte für ein Ende der Schwangerschaft vorgelegen. Auch sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, den Arbeitgeber stets von dem Fortbestand der Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen.

Urteil Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 16.09.2015 zum Aktenzeichen 23 Sa 1045/15
Fundstelle: beck-online, newsletter

Kein deutschlandweites Versetzungsrecht ohne Rücksicht auf Bedürfnisse des Arbeitnehmers

Ein Arbeitgeber darf nicht ohne Weiteres seinen Arbeitnehmer an einen rund 660 km entfernten Arbeitsort versetzen. Will er den Einsatzort verändern, muss er auch die Interessen und familiären Lebensverhältnisse des Beschäftigten berücksichtigen.

Der Kläger war seit acht Jahren im beklagten Dienstleistungsunternehmen angestellt und seit 2009 auf einer Dauerbaustelle an seinem Wohnort in Brunsbüttel als Isolierer eingesetzt. In seinem Arbeitsvertrag ist geregelt, dass er auf allen Baustellen eingesetzt werden kann, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen kann. Der Kläger ist Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Im Herbst 2014 hatte er eine fristlose Kündigung aus Anlass einer Auseinandersetzung mit einem Vorabeiter erhalten.

Nachdem er vor dem Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage gewonnen hatte, teilte die Arbeitgeberin ihm mit, er müsse ab sofort in Ludwigshafen arbeiten. Sein alter Arbeitsplatz sei zwischenzeitlich besetzt. Arbeitgeberin nahm keine Rücksicht auf familiäre Situation Der Kläger hielt die Vorgehensweise seiner Arbeitgeberin für willkürlich und familienfeindlich und verwies auf andere einsetzbare kinderlose und ungebundene Kollegen. Die Arbeitgeberin stellte sich auf den Standpunkt, in dieser Branche mit diesem Vertrag müsse sie die Zuweisung einer anderen Arbeitsstätte gar nicht rechtfertigen. Es sei die Privatangelegenheit des Klägers, dass er familiär gebunden sei. Der Kläger wandte sich mit Erfolg an das Arbeitsgericht, um zu klären, dass er nicht in Ludwigshafen arbeiten muss. Die Arbeitgeberin legte Berufung ein.
Das LAG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Auch wenn eine Arbeitgeberin den Arbeitsort einseitig festlegen dürfe, müsse sie nach billigem Ermessen alle wechselseitigen Umstände und Interessen abwägen und angemessen berücksichtigen. Dazu gehörten die beiderseitigen Bedürfnisse und auch die sozialen Lebensverhältnisse. Der Arbeitgeber habe Rücksicht auf familiäre Belange des Arbeitnehmers zu nehmen, soweit dem nicht betriebliche Gründe oder Belange anderer Kollegen entgegenstehen. Weniger schutzwürdige Arbeitnehmer bei Versetzung vorzuziehen Bestünden Auswahlmöglichkeiten, müsse der Arbeitgeber – ohne eine Sozialauswahl im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes durchzuführen – denjenigen Arbeitnehmer für die Versetzung auswählen, der weniger schutzwürdig ist.
Das Landesarbeitsgericht stellte fest: 
Schon weil die Beklagte all diese Erwägungen nicht angestellt habe, sei ihre Anweisung an den Kläger, fortan in Ludwigshafen zu arbeiten, unwirksam. 

Urteil Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 26.08.2015 zum Aktenzeichenb 3 Sa 157/15
Fundstelle: beck-aktuelle, Nachrichten

Außerordentliche Kündigung wegen Bagatelldelikt

1. Wird ein Arbeitnehmer dabei angetroffen, wie er zum Feierabend hin das Betriebsgelände verlässt und einen Kanister mit Heizöl des Arbeitgebers bei sich führt, ist – wenn keine Entlastungstatsachen vorgetragen sind – von einem versuchten Diebstahl zulasten des Arbeitgebers auszugehen.
Gleichzeitig hat der Arbeitnehmer damit in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 II BGB) verletzt. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 I BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder sie zu einem nur geringfügigen oder gar keinem Schaden geführt hat.

2. Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen.
Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung darzulegen.
Will der Arbeitnehmer einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für sein Verhalten geltend machen, muss er dazu substantiiert vortragen. Darauf hat der Arbeitgeber substantiiert einzugehen. Gegebenenfalls ist Beweis zu erheben, wobei die objektive Beweislast beim Arbeitgeber verbleibt.
Diese Regeln gelten gleichermaßen für sonstige entlastende Umstände, die der Arbeitnehmer vorträgt, die nicht das Gewicht von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen erreichen.
(Leitsätze der Redaktion BeckRS)

3. Der Umstand, dass es sich im Streitfall um mit Kondenswasser versetztes Heizöl gehandelt hat, das betrieblich nicht mehr genutzt werden kann und entsorgt werden muss, vermindert den Unrechtsgehalt des Verhaltens des Arbeitnehmers erheblich.
(Leitsatz des Gerichts)

Vorschriften: BGB §§ 241, 626, StGB § 242, KSchG §  11
Urteil Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 27.01.2015 zum Aktenzeichen 2 Sa 170/14
Fundstelle: BeckRS 2015, 68406

Geldentschädigung wegen wiederholter Kündigung einer Schwangeren

Wird einer schwangeren Frau wiederholt ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde gekündigt, kann dies einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen Diskriminierung auslösen. Vorliegend wurde der Arbeitgeber zu einer Entschädigung in Höhe von 1.500 Euro verurteilt.

Eine Geldentschädigung nach dem AGG war vorliegend gerechtfertigt. Hier hatte der Arbeitgeber aufgrund des ersten Kündigungsschutzverfahrens und der Kenntnis des Mutterpasses mit dem Fortbestand der Schwangerschaft rechnen müssen.

Urteil Arbeitsgericht Berlin vom 08.05.2015 zum Aktenzeichen  28 Ca 18485/14
Fundstelle: BeckRS 2015, 69271